Kihon Kumite

Ich liebe Kumite und hasse Kihon!

kihon kumite
Mit Liebe und Hass verhält es sich ja so: Da wo die Liebe aufhört, fängt der Hass an. Zunächst entwickeln sich beide meist langsam in ihre jeweilige Richtung, um irgendwann das Maximum zu erreichen.
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Sie treffen sich am Nullpunkt und am Zenit. Man hört das immer wieder: Menschen, die sich besonders mögen, hassen sich plötzlich. Und je größer die Zuneigung zunächst war, um so intensiver ist dann später auch die Ablehnung.

„Kihon ist langweilig“,  „Kumite ist brutal“

Im Karate ist das ähnlich, besonders bei Kihon und Kumite. Wir beginnen alle am Nullpunkt und entscheiden uns dann eine Vorliebe zu haben und je größer der überzeugte Spaß für eines der Elemente um so weniger Freude bereitet dann vielen Karateka das andere Element.

Am Maximum der Entwicklung treffen dann zwei unversöhnliche Lager aufeinander, die den Sinn des jeweils anderen in Frage stellen. „Warum der Klamauk in den freien Raum zu schlagen“ versus „Ich lehne es ab zu kämpfen“. Auch die, die zu Beginn lange und intensiv Kihon trainiert haben, lehnen es mit zunehmender Kampferfahrung ab. Und wer oft Schläge kassiert hat, sich nicht durchsetzen kann, wendet dem Kumite plötzlich den Rücken.

Was die Lager dabei gerne vergessen: Jemand, der engagiert und ernsthaft Kihon betreibt, wird irgendwann in der Lage sein, einen kräftigen Schlag auszuteilen und jemand der mit Eifer und Zielstrebigkeit Kumite ausübt, wird in der Lage sein, eine präzise, schnelle Technik auszuführen.

Das Betrachtungs- und Bewertungsmodell wechseln

Kihon und Kumite finden sich im jeweils anderen wieder. Sie sind Grundlage füreinander und ergänzen sich. Wer beides mit Eifer und Zielstrebigkeit ausübt, wird die Summe seiner Fähigkeiten steigern. Wer eines der beiden sträflich vernachlässigt, wird in seiner „Lieblingsdisziplin“ auch nicht das Maximum erreichen.

kihon kumiteWährend mir das Kihon die konzentrierte Auseinandersetzung mit der einzelnen Technik, Konditionierung und Erarbeitung nötiger Grundfitness, Schnelligkeit und Ausdauer ermöglicht, bietet das Kumite die einzige Möglichkeit, die Wirksamkeit einer Technik zu prüfen und damit die Frage zu beantworten: Mache ich es richtig, wäre es so auch praktisch anwendbar?
Ja, klar, auch Bunkai bietet mir diese Möglichkeit, auf Anwendbarkeit zu prüfen. Aber später im Kampf merkt man immer wieder, daß bestimmte Bewegungssequenzen aus einer Kata, viel zu komplex, zu sehr an optimale Bedingungen / Muster in der Bewegung des Partners gebunden und nicht schnell genug abrufbar sind.

Selbst wenn ich im Kihon absolut perfekt und präzise arbeite, ist das Distanzgefühl kaum vermittelbar und eine Abwandlung einer Technik nicht prüfbar, um auf längere oder kürzere Distanz oder ein sich bewegendes Ziel ebenfalls optimal zu treffen. Und wer ausschließlich Kumite betreibt, egal in welcher der regulierten oder freien Formen, wird auf lange Sicht elementare, grundlegende Fähigkeiten vernachlässigen.

In jeder Sportart werden neben dem inhaltlichen Teil grundlegende Fähigkeiten trainiert und das geht nicht über die eigentliche Disziplin. Ausdauer, Schnelligkeit, Kraft, Bewegungsvarianz, koordinative Fähigkeiten – all das wird durch ergänzendes Training erarbeitet und geschult. Im Trainingssystem des Karate ist Kihon vielleicht dieses Ergänzungstraining zum Kumite?! Dort steht man bewusst tief, führt Bewegungen im Grenzbereich aus, wiederholt tausendfach. Technisch perfekt an einem Ideal orientiert und diszipliniert, bewusst wahrgenommen. Um dann im Kumite die so erarbeitete Leistungsfähigkeit einzusetzen und technische Belange zu verfeinern, sie praxistauglich anzuwenden. (lese hierzu auch Schnelligkeitstrainiung für Kampfsportler)

Liebe das Kihon
Der Kumite bevorzugende Karateka sollte das Kihon also nicht hassen, sondern lernen, es zu lieben, denn es kann ihn schneller und effektiver machen.
Natürlich könnte man versuchen, das Kihon vollständig durch grundlegende Trainingsformen, weg von der Karatetechnik, zu ersetzen. Aber dann stellt sich schon die Frage: Warum machst Du eigentlich noch Karate?

Liebe das Kumite
Und erst im aktiven, praxisnahen Einsatz einer Technik kann der Sportler (oder Kampfkünstler) erfahren, ob sein Bewegungsverständnis richtig ist und sein technisches Potential anwendbar. Wer auf diese Reflektion verzichtet, kann lange Zeit in die absolut falsche Richtung arbeiten. Es sieht dann unter Umständen perfekt aus, ist aber absolut falsch und ungeeignet.

Stärke Deinen Charakter
Auch, wer durch das Karate nur seinen Charakter schulen möchte, sollte sich einmal fragen, ob die konsequente Ablehnung oder Vermeidung einer unliebsamen Situation oder Tätigkeit Selbstdisziplin und Tugendhaftigkeit ausstrahlt, oder vielleicht doch Borniertheit und Inflexibilität.
Natürlich kann man sich dem Kämpfen sperren und andere Formen der Anwendbarkeitsprüfung finden. Aber das Karate soll in einer Grundeigenschaft genau eines schulen: Flexibilität.
Und es bedarf einer gewissen Flexibilität, im Kumite den Kihonanteil zu erkennen und umgekehrt – nicht, weil es so komplex wäre, sondern, weil man einen Standpunkt aufgeben muss!
kihon kumite
 
Also liebe, geschätzte Kämpfer, Kampfsportler, Praxiskarateka und Selbstverteidiger, liebe Kampfkünstler, Breitensportler, Traditionalisten, Wegfinder: Werdet flexibel und versucht es zu bleiben.
Fangt an, zu lieben, was Euch weiterbringt, nehmt die Herausforderung an.
 
Tut das Unangenehme, weil es Euch mehr abverlangt!

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