Karate lehrt den Kampf ohne Waffe
Die Zeiten des Feudalismus sind lange vorüber und Auseinandersetzungen werden heute im gesellschaftlichen Alltag in den meisten Fällen nicht mehr martialisch geführt. Aber das Karate hat seinen Ursprung in einer Welt, in der militärische Gefolgsleute die Rechte des Landesfürsten mit Waffengewalt kriegerisch durchsetzten. Mit Schwert, Lanze, Pfeil und Bogen. Und eben in dieser Zeit, der japanischen Edo Periode (1603 – 1868) und in diesem martialischen Umfeld wurde bestimmten Volksgruppen in Teilen des heutigen Japans das Tragen von „größeren“ Waffen größenteils untersagt. Schwerter länger als ein Kurzschwert wurden konfisziert, Schusswaffen zerstört.
Auf Basis dieser Ereignisse bildete sich eine mystische Geschichte, die sich heute schwer belegen lässt. Angeblich musste man Alternativen finden, oder vorhandene Methoden des Kampfes weiterentwickeln, um sich selbst, Haus und Hof oder die Familie vor Übergriffen zu schützen. Bekannt ist hingegen: In jenen Tagen gab es Handel und kulturellen Austausch zwischen dem unabhängigen Königreich Ryukyu Okinawas und dem chinesischen Festland und so, vermutet man, gelangte das chinesische Shaolin-Kungfu als „Chinesische Hand“ 唐手 auch nach Okinawa und vermischte sich dort mit bereits vorhandenen Kampftechniken des (Okinawa) Te bzw. des Tode. Als Kempo, „Faustlehre“, wurde es Grundstein dessen, was wir heute als Karate kennen. Kempō ist die japanische Aussprache des chinesischen Wortes Quánfǎ und wird auch mit den gleichen Schriftzeichen geschrieben. Quánfǎ wiederum ist eine ältere Berzeichnung für Gōngfu, uns landläufig bekannt als Kung Fu und gleichbedeutend mit Wǔshù.
Später gelangte diese Kampfkunst auf die Hauptinsel Japans und wurde darüber als Karate bekannt.
Das Shaolin-Kung Fu ist auch ein Hinweis auf die längere Historie dieser Methode des Kampfes. Die Legende sagt, daß der indische Mönch Bodhidharma um 520 n. Chr. in einem Shaolin Kloster den Ursprung verschiedener chinesischer Kampfkünste gelegt hat. Die körperliche Verfassung der Novizen und Mönche war so schlecht, daß er ihnen mit entsprechenden, kämpferischen Leibesübungen neue Lebensgeister eingehaucht hat. Und da die Klöster in dieser Zeit häufig Ziel von Angriffen waren, lernten die Mönche auf diesem Weg, sich zu verteidigen.
Schaut man sich die Techniken, Stellungen und Bewegungen des indischen Kalarippayat, des chinesischen Shaolin-Kung Fu und des Karate an, findet man viele Übereinstimmungen und die Verwandschaft der Kampfmethoden ist nicht zu leugnen.
Man kann also festhalten, daß Karate seinen Ursprung im Kampf hat – Mensch gegen Mensch – und die Karateka, also die, die Karate ausübten, haben dabei ihre Hände und Füße als Waffen eingesetzt. Die Hände waren leer – das ist auch die Bedeutung von Karate – „leere Hand“.
Mit der blanken Hand gegen das Schwert?
Es ist eher unwahrscheinlich, daß die „leere Hand“ vor Allem als Waffe gegen Messer, Schwerter oder gar Schusswaffen gelehrt und eingesetzt wurde. Das macht auch nicht wirklich viel Sinn. Wer im Training einmal selber gegen eine Waffen Attrappe antritt, bekommt ein Gefühl dafür, wie leicht man getroffen oder geschnitten werden kann. Wer es nicht glaubt, kann im Training mal einen Textmarker oder Edding einsetzen, um die Treffer zu visualisieren. Anders ist es aber mit den Ersatz-Waffen die in den traditionellen Kampfkünsten Okinawas gelehrt werden, diese sind sehr wohl effektiv gegen Schwerter, Messer oder Speer einsetzbar.
Was ist Karate heute
Über eine lange Tradition, eine verzweigte Geschichte findet man heute prinzipiell folgende Ausprägungen des Karate:
ganzheitliches körperliches und geistiges Training
Karate ist Balsam für Körper und Seele. Schaut man über den Tellerrand, findet man im Karate auch Bewegungsformen aus dem Yoga wieder. Die Art des Karatetraining und die philosophischen Aspekte lehren Körper und Geist, neue Möglichkeiten zur Entfaltung und erweitern den physischen und psychischen Spielraum.
Kampfkunst I
Auch, wenn der Ursprung des Karate der Kampf ist, muss man im Karate nicht unbedingt kämpfen – nicht im Sportbetrieb und auch nicht auf der Straße. Wenn es also um die Bewegung, hauptsächlich um die Entwicklung körperlicher Fähigkeiten geht, in Zusammenarbeit mit eine*r Partner*in, spricht man von Kampfkunst. Man lernt zwar praktisch wie es geht, wendet es aber nicht wirklich an.
Kampfkunst II
Steht die Persönlichkeitsentwicklung, die innere Vervollkommnung im Vordergrund, wird manchmal auch von Kampfkunst gesprochen. Dann ist die Wirkung nach innen, zum Beispiel durch den eher meditativen Charakter der Bewegung der Schwerpunkt. Man übt den Einsatz der Techniken vielleicht gar nicht und schult den Körper auf eine sanfte und harmonische Weise, ohne Partner*in, wie im Tai Chi oder im Yoga. Übertragen in den Alltag und das Wesen des Menschen, schult das Karate in dieser Form mehr die Persönlichkeit und weniger den Körper.
Selbstverteidigung
Karate ist ursprünglich Kampf und in diesem Kontext lernt man sich zu verteidigen. Man kann Karate so lernen, daß es hervorragend, effektiv und effizient zur Selbstverteidigung eingesetzt werden kann. Mit zerstörerischer Wirkung auf den Angreifer (seltener die Angreiferin!) und hohem Schutzfaktor für die Karateka.
Kampfsport
Anfang des 19 Jahrhunderts entwickelten sich erste sportliche Wettkämpfe, die von den „Traditionalisten“ abgelehnt wurden. Aber heute gibt es einen professionell geprägten Wettkampfbetrieb nach verschiedenen Regelwerken und mit diversen Kontaktformen. Vom Punktesammeln bis zum Vollkontakt ist alles dabei. Wer sich auf Wettkampferfolge konzentrieren will, muss sich nur entscheiden, nach welchem Regelwerk sie / er in welcher Disziplin kämpfen möchte und viel, viel trainieren, um für die sportliche Auseinandersetzung vorbereitet zu sein. Profisportler*innen treten zum Teil gleich in verschiedenen Ligen und Verbänden an.
Karate ist flexibel
Die Grenzen zwischen den Ausprägungen sind fließend, die Variationen umfangreich und die Schwerpunkte in Training und im „Einsatz“ von Karate Techniken variabel. Für die einen ist Karate Sport und olympische Disziplin, für die anderen ist es Selbstverteidigung oder einfach körperliches Training. Für viele ist es ein Lebensweg und eine Form von ethischer Haltung. Die Organisationen und Fachverbände konkurrieren um Breiten- wie Spitzensportler*innen, Funktionär*innen und Sponsoren. Karate ist heute auch, wie in der Sport- und Fitnesswelt allgemein, ein großes kommerzielles Geschäft mit hunderttausenden Aktiven allein in Deutschland. Irgendwann entschließt man sich, einem eingetragenen Verein oder kommerziellen Club beizutreten und schließt sich damit möglicherweise auch einem Verband an. Die beiden großen Karate Verbände in Deutschland sind der DKV – Deutscher Karate Verband und der DJKB – Deutscher JKA Karate Bund.
Wie üblich, beansprucht jeder Mitbewerber in diesem Reigen aus unterschiedlicher Motivation und mit abweichender Mission die Wahrheit für sich – mit ein wenig Abstand lässt sich aber in den gut organisierten Verbänden eine hervorragende Arbeit erkennen und gutes Karate lernen – unabhängig davon, wie sie heißen, oder welcher Dachorganisation sie angehören.
Warum sollte man Karate machen
Karate macht vor Allem viel Spaß, denn man lernt sich, seinen Körper und dessen Grenzen sehr gut kennen. Und mit jeder Trainingseinheit kann man sich verbessern. Im Normalfall macht man Karate nicht alleine, sondern gemeinsam, in einer größeren Gruppe, dem Dojo. Und der Einstieg ist leicht: Man benötigt kaum Ausrüstung, Sportmuffel können genauso mit dem Training beginnen, wie Sportbegeisterte. Auch Alterseinschränkungen gibt es keine.
Karate ist eine Möglichkeit
- sich kritischen Situationen zu stellen, zu lernen sie zu meistern – im Alltag, Beruf oder wenn man in Gefahr ist
- zum Ausgleich und ein Weg zur inneren Ruhe
- sportliche Erfolge zu erlangen
- kämpfen zu lernen
- sich kontinuierlich körperlich und geistig weiter zu entwickeln
Was macht man denn im Karate genau?
Grob beschrieben besteht das Karate Training meist aus folgenden Elementen:
- ein allgemeinsportlicher Teil, bestehend aus
- Aufwärmtraining
- allgemeines sportliches Fitnesstraining
- Dehnungsübungen
- Abwärmübungen (zum Abschluss der Einheit)
- Kihon – das Grundschultraining
- spezifisches Karate-Techniktraining
- spezifisches Karate-Bewegungstraining
- Förderung von Koordination, Schnelligkeit und Ausdauer
- Kata – ein imaginärer Kampf mit einem oder mehreren Gegner*innen
- Grundschultechniken werden zu längeren Kombinationen verbunden
- räumliches und technisches Vorstellungsvermögen werden geschult
- Konzentration und Bewusstsein werden erhöht
- Bewegungsmuster werden eingeprägt
- Kumite – Partnerübungen und Kampf
- Technik-Training mit eine*r Partner*in
- Kampfübungen mit eine*r Partner*in
- Kampf mit eine*r Gegner*in
Eine Trainingseinheit geht für Breitensportler*innen meist über 90 bis 120 Minuten und die Schwerpunkte in der Einheit werden von den Trainer*innen gesetzt. Im Karate ist man es gewohnt, mit heterogenen, gemischten Gruppen umzugehen und so können Anfänger*innen mit Fortgeschrittenen, Jung und Alt, fit und unfit gemeinsam trainieren.
Durch die gute Ausbildung der Trainer*innen sind die Einheiten heute zielgruppenspezifisch optimiert, das führt zu Angeboten wie
- Kindertraining
- Karate ab 50
- Spezialtraining oder Ergänzungstraining
- Prüfungsvorbereitung
- Wettkampftraining
- Kadertraining
Woher weiß ich, daß ich mich verbessert habe?
Im Karate wurde ein Gürtelsystem etabliert. Wer fleißig trainiert und sein Prüfungsprogramm beherrscht, kann im Rahmen einer Gürtelprüfung sein Können unter Beweis stellen und verdient sich dadurch eine Graduierung, die durch eine Gürtelfarbe ausgezeichnet wird. Das Ziel vieler Karateka ist der sogenannte DAN Grad, auch „der schwarze Gürtel“ genannt. Ein Eintritt in diese Stufe beweist, daß man auf dem Karate Weg – dem Karate-Do, den richtigen Pfad eingeschlagen hat.
Karate ist eine Lebensaufgabe des kontinuierlichen, immerwährenden Übens – für viele Karateka schließt sich der Kreis im hohen Alter – einige kehren dann auch zur ersten Stufe, dem weißen Gürtel zurück.
Die Anerkennung von Prüfungsleistungen ist immer mit der Verbandszugehörigkeit verbunden.
Und woraus besteht ein Karate Wettkampf?
Es gibt weltweit eine ganze Reihe von Disziplinen, da es auch eine große Anzahl Organisationen und Karate Stilrichtungen gibt. Aber am meisten vertreten sind Wettkämpfe in den Disziplinen Kata und Kumite.
Kata Wettkampf
Den Kata Wettkampf gibt es als Einzel und Team Disziplin. In beiden Disziplinen wird eine Kata vorgeführt und von Kampfrichter*innenn bewertet. In der Teamdisziplin wird die Kata von mehreren Personen eines Teams gleichzeitig ausgeführt und im Anschluss deren Anwendung gezeigt.
Kumite Wettkampf
Den Kumite Wettkampf gibt es auch als Einzel und Team Disziplin. In einem Aufeinandertreffen von zwei Kämpfer*innenn wird versucht Schläge und Tritte gezielt zu setzen. Abhängig von Stilrichtung und Verband variiert dabei die Bewertung und Bedeutung von Treffen. Es gibt Formen, wo sich die Kämpfer*innen kaum treffen und eine Wertung erzielt werden kann, aber es gibt auch Systeme in denen im Semi- Leicht- oder Vollkontakt gekämpft wird und ein technischer K.O. zu einem Sieg führt.
Die Verbandszugehörigkeit kann darüber entschieden, ob man an einem bestimmten Wettkampf teilnehmen darf oder nicht und welche Form des Kontaktes gemäß Regelwerk erlaubt ist.
Karate Geschichte und Philosophie
Schon kurz angeklungen ist das Thema Karate Stile bzw. Stilrichtungen, davon gibt es eine ganze Menge – um nicht zu sagen: Es ist unübersichtlich.
An den in Europa bekannteren Karate Stilen Shotokan, Goju Ryu, Shito Ryu und Wado Ryu zeige ich grob die geschichtlichen Zusammenhänge. Hierzu muss man wissen, das Karate zunächst kein „offenes System“ gewesen ist, die Übergabe der Kenntnisse erfolgten an wenige Personen und es entwickelten sich stärker abgegrenzte „Systeme“. Mit der Öffnung Japans und der allgemeinen Verbreitung des Karate fand zwischen diesen so genannten „Schulen“ ein stärkerer Austausch statt und neue Stile / Schulen wurden geprägt.
Hier sind verschiedene Strömungen auch wieder zusammengeführt worden. Das Wado Ryu basiert zum Beispiel auf dem Shotokan, aber auch den Vorläufern Shuri Te und Tomari Te, die man als getrennte Schulen betrachtet.
Karate ist übrigens keine klassische Budo Disziplin. Budo, der „Weg des Krieges“, leitet sich von Bushido, wörtlich „Weg des Kriegers“ ab, dem Verhaltens- und Ehrenkodex der Samurai. Nachdem die Samurai, also der japanische Kriegeradel oder die „Kriegerkaste“ an Bedeutung verloren hatte, wurde aus dem Bujutsu, also der Militär oder Kriegskunst, das Budo geformt.
Neben dem technischen Teil des Bujutsu, wurde ein philosophischer Teil ergänzt und der Einsatz der Techniken in kämpferischen Auseinandersetzung trat in den Hintergrund. Man übt immer noch mit Pfeil und Bogen, Lanze und Schwert, aber niemand wird mehr mit diesen Waffen auf das Schlachtfeld ziehen, um einen Sieg zu erringen.
Und in einer persönlichen Auseinandersetzung sollten diese Waffen heute wohl garnicht zum Einsatz kommen. Ebenso sollte jemand, der dem Weg des Karate folgt, die Techniken nicht ungebührlich einsetzen. Nur im Notfall, wenn man angegriffen wird und nur so, daß es der Abwehr und dem eigenen Schutz angemessen ist. Denn die tausendfache Wiederholung einer Technik und die Abhärtung gegen den Moment des Auftreffens soll im Karate Hand und Fuß zur scharfen Waffe schmieden und deren Wirkung kann gefährlich sein.
Obwohl Karate keine der „Samuraikünste“ war, ist es heute anerkannte Budo Disziplin und wurde auch von offizieller, japanischer Seite als solche anerkannt.
Geprägt vom Ehrenkodex der Samurai ist der disziplinierte Umgang mit sich selbst und den Mitmenschen heute das Wesen des Karate.
Selbstkontrolle, Wertschätzung für sich und andere, überlegtes Handeln – das sind Forderungen, denen Karateka sich in ihrer Weiterentwicklung stellen müssen. Der Zustand der inneren Leere, also ein ruhiger reiner Geist, befreit von unnötigen Gedanken und niederer Motivation, ist bei hoher Konzentration auf das Hier und Jetzt, das Ziel der andauernden, disziplinierten Übung im Karate.
Diese innere Leere spiegelt Klarheit und Reinheit wider und versetzt Menschen in die Lage ohne Argwohn, Angst oder Hass und fokussiert zu agieren und zu reagieren. Man entwickelt den geistigen Raum, sich der Situation vollends bewusst zu werden und handelt trotzdem instinktiv richtig.