Karate oder – Wenn Du mit geschlossen Augen versuchst, mit dem Zeigefinger Deine Nase zu treffen, wirst Du verstehen: Dein Körper braucht Dein Bewusstsein nicht für die Bewegung, sondern nur für die Zielsetzung.
Karate, mal Lebenseinstellung mal Sport.
Die Kontur des „Spektrums“ Karate ist nicht besonders scharf, Gewissheiten und Meinungen gehen gleichermaßen bei der Frage auseinander, was es wohl letztlich ausmacht, Karateka zu sein.
Im Kern dürften sich die meisten Karateka einig sein, daß man lernt, zumindest Hände und Füße zum Schlagen und Treten einzusetzen. Oft wird von waffenloser Kampfkunst gesprochen und hier zum Begriff Karate, also der „leeren Hand“, Bezug genommen. Allerdings gibt es auch Stilrichtungen in denen waffenähnliche Gegenstände zum Kampf eingesetzt werden, was die zusätzliche Frage aufwirft „Was ist eine Waffe?“. Einige Karateka dürften wohl antworten „Meine Hände und Füße.“ Sehr umfassend und präzise behandelt Henning Wittwer diese Themen in seinem Buch Karate. Kampfkunst. Hoplologie.
Die vier Elemente des Karate
Unbestritten ist, daß Karate sich aus den drei Elementen Kata, Kihon und Kumite bedient, um Inhalte zu lehren, Fähigkeiten zu entwickeln und ein beständiges Vorankommen auf dem Weg sicherzustellen. In welchem Maß jedoch welches Element trainiert wird und welche Bedeutung es jeweils besitzt, ob der Fokus auf Perfektion in der Bewegung oder effektiver Anwendung liegt, ist selbst bei gleicher Stilrichtung und gleichem Dachverband individuell vom jeweiligen Trainer abhängig. Und so kann man mit Sicherheit behaupten: Es gibt nicht das eine Karate.
- Kihon – meine Meditation der Bewegung und unverzichtbare Grundlage
- Karate Kata – meine imaginäre Auseinandersetzung mit dem, was da einmal kommen ma
- Kumite – Spaß in der Bewegung
Das verbindende vierte Element zwischen allen mir bekannten Stilrichtungen, über Vereins- und Organisationsgrenzen und Trainings- wie Ergebnisziele hinweg, ist aber der Wunsch des Karateka sich zu bemühen, sich anzustrengen und zu verbessern!
Selbstverteidigung oder Selbstfindung
„Erlaubt und nützlich und damit sinnvoll ist, was funktioniert“, hat mir mal ein Trainer gesagt. Stimmt. Vorausgesetzt, das Ziel liegt in der Anwendung, doch es gibt neben denen, die lernen wollen sich zu verteidigen, auch die Gruppe derer, die Karate als Sport betreiben um Wettkampferfolge zu erzielen, oder die Karateka, die sich im Sinne des Budo von der realitätsnahen Anwendung der gelernten Techniken entfernen, um sich selbst und / oder ihr Bewusstsein zu entwickeln. Ich bin sogar der Meinung, man kann „das eine“ nicht isoliert „ohne das“ andere trainieren, also werden wir in jeder Art Schule interessante, ja sogar imponierende Aspekte finden, die den eigenen Vorstellungen etwas nützliches ergänzen können. Eine tolle Veranstaltung in diesem Zusammenhang ist das Yu-Wa-Kai des KDNW, hier kann man viel über andere Stilrichtungen lernen. Und das ist auch mein Rat: Über den Tellerrand schauen, Du machst „Karate-Do“, siehst Karate als Lebensweg – kämpfe mal mit einem Sportkarateka, Dir fliegen die Fußtechniken nur so um die Ohren und Dein Weg könnte ein jähes Ende nehmen, wenn Du weiter nur an Perfektion arbeitest. Du machst Selbstverteidigung und Kontakttraining an der Pratze ist alles für Dich, dann wirf mal einen Blick auf das Bunkai einer Kata und lerne, welche Möglichkeiten Dir das Karate noch bietet.
erst Okinawa, dann Japan
Die Einflüsse chinesischer Kampfkunstschulen auf das heutige Karate sind nicht unbedeutend. Von Okinawa gelangt das Karate nach Japan und findet von dort den Weg in die ganze Welt. Den japanischen Karate Pionieren ist zu verdanken, daß wir heute aus einem großen Angebot schöpfen können. Sie haben ihre Heimat und einen bekannten Kulturkreis verlassen, um sich einem höheren Ziel unterzuordnen, „das Karate“ zu verbreiten und meiner Meinung haben sie dabei großes geleistet. So kann man heute, auch ohne japanische Trainer, auf der ganzen Welt hervorragend Karate lernen. Trotzdem ist es immer wieder eine Bereicherung, wenn ein japanischer Trainer die „Halle“ mit seiner Aura füllt – der Spirit ist einfach anders. Und somit haben diese Pioniere nicht nur das Karate sondern auch die japanische Kultur mit verbreitet, wie das andere japanische Künste ebenfalls getan haben.
der Schlüssel ist Perfektion
Es gibt eine große Menge Karateka, die es nicht gerne hören und die Gründe finde ich auch nachvollziehbar: Aber Karate lebt von der Perfektion, von dem ständigen Wunsch, ein utopisches Ideal zu erreichen, denn sonst können wir mit dem Training sofort aufhören und etwas anderes erledigen. Und dieses utopische Ideal verändert sich im Lauf der Jahre, genauso, wie wir uns als Menschen regelmäßig und andauernd verändern. Es steigt und fällt in seinen Ansprüchen. Diese Perfektion folgt in ihrem Wesen vielleicht der Funktion einer einfachen, automatischen Maschine – fällst Du hin, stehst Du einfach wieder auf. Es passiert mir so oft, daß ich am Ende einer Einheit denke, es geht nicht mehr. Kein weiterer Schritt, keine Bewegung, keine Technik. Aber schon zehn Minuten später geht es doch weiter. Sich zu erkennen, die Grenze zum Körper und den fließenden Übergang zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein zu spüren, benötigt Reduktion auf das Wesentliche. Einen Zustand, der so einfach und reduziert ist, daß er in sich vollkommen sein kann. Also sollte man im Training versucht sein, sich um Energie, Kraft und Atem zu berauben, das Maximum des jeweils Erreichbaren zu erlangen. Dann wird die Bewegung frei, natürlich und unwillkürlich, ökonomisch, elegant und in ihrer Form reduziert – perfekt. Wenn Du mit geschlossen Augen versuchst, mit dem Zeigefinger Deine Nase zu treffen, wirst Du verstehen was ich meine, Dein Körper braucht Dein Bewusstsein nicht für die Bewegung, sondern nur für die Zielsetzung. Die Perfektion liegt darin, daß Du lernst, Dich selber zurück zu nehmen.
Kime
Glaubt man den heißen Diskussionen in den Foren und sozialen Netzwerken sind des Karatekas liebste Themen der richtige Karate Gi, die Länge des Karate Gürtel und das Thema Kime. Spannung oder Entspannung und wenn ja, wann?! Ich möchte so viel dazu sagen: Bei einer Fausttechnik ist meine Faust geschlossen und nicht locker, auch während der Bewegung. Das führt zu einer leichten Spannung im Unterarm. Beim Auftreffen ist dadurch das Handgelenk stabilisiert und für mich erweckt das den Eindruck eines Hammerkopfes, der fest mit dem Stil verbunden ist. Muskeln an Oberarm, Schulter, Brust und Rücken sind locker, verrichten ihre Arbeit, ohne mein Zutun und zum Zeitpunkt des Auftreffens weiß mein Körper was zu tun ist. Ein weiterer Bereich, dem ich meine Aufmerksamkeit widme, ist der Rumpf. Er verbindet den Oberkörper mit dem Unterkörper und sorgt so dafür, daß die notwendigen Bodenreaktionskräfte zustande kommen, die eine Technik stark machen. Schwacher Rumpf, schwache Technik. Kompaktes, hartes Hara beim Auftreffen – und jetzt kommt das dritte Element – kombiniert mit einem passenden Stand, machen überhaupt erst eine optimierte Wirkung möglich. Ja, eine locker herausgeschleuderte, einfach Watschn hat schon so manchen Kampf schnell beendet. Aber wer will sich schon alleine auf sein Glück verlassen. Also merke: Die richtige Spannung zum richtigen Zeitpunkt ist das Geheimnis. Um dies zu finden, braucht es vor Allem praktische Übung! Also, ausprobieren, nicht diskutieren.
der Stand
So, wie man im Boxen den Kampf auch über die Beinarbeit gewinnt, so braucht jede Technik ihren Stand. Es gibt dabei kein Allgemeinrezept und die Frage nach „Ferse oder Ballen“ in Drehung oder Bewegung mag manchmal mit „Ferse“ und manchmal mit „Ballen“ beantwortet werden. Meine Gegenfragen sind dann immer: „Was möchtest Du denn erreichen?“, „Wo genau möchtest Du hin? Weiter weg, oder näher dran?“, „Kannst Du denn hier überhaupt über den Ballen drehen, macht die Ferse hier denn Sinn?, „Wie verändert sich dadurch Dein Stand?“. Der Stand ist mit entscheidend für den Erfolg einer wirkungsvollen Technik. Und bedenke, ich möchte ja das letzte Quäntchen herausholen, die 57,88 Gramm mehr, die 2,7 cm mehr, die 0,76 Sekunden die darüber entscheiden ob ich, oder eine andere Person stehen bleibt oder einen Punkt macht. Schlechter Stand – schlechte Technik. Falscher Stand – falsche Technik.
Ja, ich weiß es auch: Wenn es um Punkte geht, zählt das alles vielleicht nicht mehr – Stand, Stabilität. Aber dann schaut man Karate Combat und denkt sich: Das ist jetzt alles nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe, wo sind da die Eleganz und Power der Karateka und warum funktioniert die Technik im Vollkontakt plötzlich nicht mehr? Achte mal nur auf die Beine und dann schau Dir zum Vergleich K1-Kickboxen an und Du wirst sehen: Da fehlt dem modernen Sport-Karateka einiges an Stabilität im unteren Körperteil und im Stand und das macht die Technik schwach!
Dem interessierten Karateka möchte ich an dieser Stelle folgende Lektüre empfehlen:
Forensisch-biomechanische Aspekte des Faustschlags
Bremer, Stefan Michael (2008): Forensisch-biomechanische Aspekte des Faustschlags. Dissertation, LMU München: Medizinische Fakultät